Unsere Ankunft in Wattenscheid

Der Zug hielt in Wattenscheid und wir waren überglücklich, wieder zu Hause zu sein. Kaum hatten wir den Bahnhof verlassen, begegnete uns jemand aus unserer Straße. Mutters erste Frage war, ob er unseren Walter gesehen habe: „Ja“, war die Antwort, „mehr könne er aber nicht sagen.“ Ich habe meine Mutter noch nie so glücklich gesehen.

 

Unsere Wohnung mit Inhalt in der Hollandstr. Nr. 13 hatten die Eltern bis zu unserer Rückkehr untervermietet. Es war Ende Juni, als wir nun wieder vor unserer Wohnungstür standen. Unsere Untermieterin (die Schwester der ebenfalls in diesem Haus wohnenden Frau Haar) war gerade dabei, die Wohnung wieder zu räumen. Wir hatten also unser zu Hause wieder zurück. Nun wurde die Wohnung wieder so hergerichtet, wie Mutter es haben wollte. Leider musste sie feststellen, dass viele Gegenstände nicht mehr vorhanden, defekt, oder gar kaputt waren. Es war aber zu verschmerzen. Tags darauf standen auch Walter und Elli vor der Tür. Die Freude war groß. Bei dieser Gelegenheit gestanden sie der Mutter, dass Elli bereits wieder in anderen Umständen sei. Mutter war zwar leicht geschockt, hat es aber dennoch gut verkraftet. Sie war nur glücklich darüber, dass alle lebten und gesund waren. In Deutschland herrschte zu dieser Zeit eine große Hungersnot. Die Geschäfte, soweit noch vorhanden, waren leer. Die Lebensmittelkarten, zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel, reichten vorne und hinten nicht aus. Man konnte sie kaum einlösen, es gab ja nichts. Im Herbst, als sich wieder vieles normalisiert hatte, stand eines Tages unser Briefträger vor der Tür. Er hatte eine Paketbenachrichtigung für uns. Das Paket sollten wir in Bochum beim Zoll (Post) abholen. Voller Neugier schauten wir auf den Absender. Es war ein Paket aus Amerika, Vaters Schwester Meta war der Absender. Diese Freude hätte einer miterleben müssen. Zu beschreiben ist sie nicht. Jeder hatte seine Wünsche, was den Inhalt wohl beträfe. Ich dachte an einen Fußball und Mutter an ein schönes Tässchen Kaffee. Vater richtete sich und fuhr sofort mit der Straßenbahn nach Bochum um das Paket abzuholen. Als er nach Hause kam, war die Spannung nicht mehr zu überbieten. Ja, es knisterte förmlich in unserer Wohnung. Schnell wurde das Paket geöffnet. Was war wohl der Inhalt? Das Erste was Mutter entdeckte, ja es war ihr Kaffee, den sie sich auch gleich aufbrühte. Dosen, Kleidung, Zigaretten, Gewürze wie Pfeffer und Paprika nebst Seife waren die weiteren Gaben. Von nun an kamen nahezu alle paar Wochen ein Paket. Vater hatte ja noch mehrere Geschwister, alle versorgte sie. Es war ja auch die Zeit der Hamsterkäufe und das Hinausfahren zu den Bauern. Alles wurde den Bauern angeboten, was man nur entbehren konnte. Trotzdem, es war verboten zu hamstern. Die Engländer machten auf den Bahnsteigen sehr oft Kontrollen, und wenn einer zu viel hatte, nahm man es ihm wieder weg. Vater, auf dem Lande aufgewachsen, wusste, was der Bauer jetzt braucht. Er fuhr aufs Land und bot sich den Bauern an, Reparaturen auszuführen. Konnte er doch mit Sattlerwerkzeugen umgehen. Er brachte die Pferdegeschirre wieder in Ordnung und noch so vieles mehr. Die Bauern nahmen ihn mit offenen Armen auf und bezahlten mit Speck, Eier und Kartoffel. Wir hatten plötzlich wieder ausreichend zu essen. In dieser Zeit merkte Vater, was die Bauern sonst so noch brauchten, vor allem, wenn geschlachtet wurde. Ja die Bauern fuhren zu den britischen Kommandanturen und erwirkten Bescheinigungen, die es möglich machten, dass unserem Vater bei einer eventuellen Kontrolle auf dem Bahnhof nichts weggenommen wurde. Einige Bauern kamen sogar zu uns, um nur Gewürze zu bekommen. Als Vater den Erfolg erkannte, bat er Tante Meta, nur noch Gewürze und natürlich Mutters Kaffee, zu schicken. Später, im Februar 1957, es war ihr Deutschlandbesuch, erzählte sie uns, diese Pakete mit Kaffee und Gewürzen hätten ihr nur Cent gekostet. Das Porto war viel teurer.

 

ENDE