Geschichten aus dem Bergbau

Ich hatte Angst! Eine wahre Geschichte.

An das genaue Jahr kann ich mich heute nicht mehr erinnern. Es war wohl in den Jahren 1952 bis 1956. Ich arbeitete zu dieser Zeit auf der Schachtanlage Zeche Morgensonne. Als Lehrhauer wurde ich einem erfahrenen Hauer (Gesellen) zugeteilt. Bis vor Ort, so benennt der Bergmann seinen Arbeitsplatz, hatte ich mit meinem Kumpel (Arbeitskollegen) um die drei Kilometer vom Schacht aus zurückzulegen. Unsere Arbeit war relativ gefährlich und bestand darin, eine alte Strecke, die zum Teil schon eingefallen war, wieder herzurichten. Es sollte dort ein Streb neu angelegt werden. Ein Streb verläuft bei einer steilen Lagerung, von der oberen zur unteren Zwischensohle. Das Kohleflöz zieht sich mit einem Winkel von bis zu 90 Grad durch das Gebirge. Gebirge nennt der Bergmann das Gestein. Schon zur damaligen Zeit wurde die Kohle maschinell abgebaut. Zum Einsatz kamen eine Schrämmaschinen, die von der unteren Sohle zur oberen Sohle gezogen wurden und dabei die Kohle lösten.

Eine mit unserer Zeche unter Tage verbundene Schachtanlage war die Zeche Centrum. Dort gab es Tage zuvor ein Grubenunglück. In einem Streb löste sich das Hangende (die Decke), stürzte ein und begrub zwei oder drei Bergleute unter sich. Es gab also tote Bergleute. Nicht unweit dieser Stelle, gab es noch ein weiteres Streb. Auch dort wurde das Gebirge unruhig und konnte jeden Augenblick einstürzen. Es galt also für die Betriebsleitung, diese in dem Streb eingesetzte Schrämmaschine, unbedingt zu retten, also abzusichern. Zu jener Zeit begann unsere Schicht in der Nacht um drei Uhr. Mit meinem Kumpel war ich auf dem Wege zu unserem Ort. Das heißt, zu unserer Arbeitsstelle. Auf einmal sahen wir hinter uns das Leuchten eines Scheinwerfers. In einem rasend schnellen Schritt folgte uns der Nachtsteiger (Meister). Er holte uns ein und gab uns die Anweisung, ihm zu folgen. Eine Schrämmaschine sei in Gefahr und müsse abgesichert werden. Wir folgten und kamen zu dem besagten Streb. Also zu der Stelle, von der wir absteigen sollten, um die Maschine zu retten. Holzstöße sollten gesetzt werden. Es hatte sich im Gebirge, also im Hangenden, eine große Platte gelöst. Diese hat auf die zur Sicherung gesetzten Stempel einen mächtigen Druck ausgeübt. Als wir von oben hinunterschauten, sahen wir, wie die Stempel begannen, sich wie ein Korkenzieher zu drehen. Ein unheimliches Knistern war zu hören. Es drohte in der Tat, das Hangende einzustürzen. Nun gab der Steiger meinem Kumpel und mir die Anweisung, mit dem Schlitten  hinunterzufahren, um die Holzstöße zu setzen. Es half ihm auch sein Anschreien nichts, ich weigerte mich. Ich hatte eine höllische Angst!! Da ich Lehrhauer war, konnte mich der Steiger nicht zwingen, diese Arbeit auszuführen. Es blieb ihm somit nichts anderes übrig, als selbst hinunterzufahren. Ich bediente also den Haspel und ließ den Steiger und meinen Kumpel hinunter. Verbunden waren sie mit mir durch ein Seil und daran eine Hupe. Sie waren keine zwei Minuten unten, als ich das Zeichen bekam, sie so schnell wie möglich wieder hochzuziehen. Wenn man es hätte unter Tage sehen können, ich glaube, sie waren weiß wie der Kalk. Ich bin mir nicht sicher, ob der Steiger, wenn er oben gewesen wäre, auch so schnell gehandelt hätte. Mein Kumpel sagte mir danach, er habe gehofft, dann auch nicht hinunter zu müssen. Dem Steiger hingegen, blieb aber nichts anderes übrig. Er musste ja der Betriebsleitung gegenüber geradestehen. Die Schrämmaschine war jedoch nicht mehr zu retten. Ich habe dann danach das einzig Richtige getan, habe gekündigt und mir eine neue Arbeitsstelle gesucht.

 

ENDE